.png)
Bezahlung:



Lieferung:


Karlheinz Stockhausen
Stockhausen: Gruppen für 3 Orchester - Nr. 6, für 3 Orchester
UE13673
Ausgabeart: Partitur
Format: 297 x 420 mm
ISBN: 9783702431860
Seiten: 162
ISMN: 979-0-008-02587-7
Bezahlung:



Lieferung:


Hörbeispiel
Beschreibung
In meiner elektronischen Komposition Gesang der Jünglinge wurde die Schallrichtung und die Bewegung der Klänge im Raum gestaltet und als eine neue Dimension für das musikalische Erlebnis erschlossen. Das Werk ist für fünf Lautsprechergruppen komponiert, die rings um die Hörer im Raum verteilt sein sollen. Von welcher Seite, mit wie vielen Lautsprechern zugleich, ob mit Links- oder Rechtsdrehung, teilweise starr und teilweise beweglich die Klänge und Klanggruppen in den Raum gestrahlt werden: das alles ist für das Verständnis dieses Werkes maßgeblich. Die Uraufführung fand 1956 statt. Heute gibt es schon eine ganze Reihe elektronischer Raum-Kompositionen. Was waren die rein musikalischen Gründe, Töne aus verschiedenen Himmelsrichtungen und mit verschiedenen Bewegungsformen klingen zu lassen?
Die ersten Kompositionen elektronischer Musik, „punktueller Musik“ überhaupt, waren äußerst homogen im Klanggemisch und in der Form. Alle musikalischen Elemente nahmen gleichberechtigt am Gestaltungsprozess teil und erneuerten sich beständig von Ton zu Ton in allen Eigenschaften. Wenn nun alle Toneigenschaften sich beständig in gleichem Maße ändern, wenn nicht eine Eigenschaft für längere Zeit unverändert bleibt, dann eine andere Eigenschaft dominierend wird (z. B. längere Tonfolgen unverändert in hoher Lage, dann in tiefer Lage; oder mehrere Töne gleichbleibend langsam, dann schnell; oder eine Tongruppe mit Streichern gespielt, die folgende mit Bläsern; oder zuerst viele laute Töne, dann leise), wenn vielmehr Ton für Ton sich in Höhe, Dauer, Farbe und Stärke ändern („Punkt für Punkt“), so wird schließlich die Musik statisch: sie verändert sich äußerst schnell, man durchmisst in kürzester Zeit immer den ganzen Erlebnisbereich, und so gerät man in einen schwebenden Zustand: die Musik „bleibt stehn“.
Wollte man nun doch wieder größere Zeitphasen artikulieren, so gab es nur die Möglichkeit, eine Toneigenschaft über alle anderen für eine Zeitlang herrschen zu lassen. Das aber hätte unter den damaligen Voraussetzungen zutiefst dem Geist widersprochen, aus dem heraus der Gedanke einer Gleichberechtigung aller Toneigenschaften geboren wurde. Und so fand man die Lösung, verschieden lange Zeitphasen derart homogener Tonstrukturen auf verschiedene Lautsprechergruppen oder Instrumentengruppen im Raum zu verteilen. Die Raumposition der Töne spielte ja bis dahin in der Musik überhaupt keine aktive Rolle; man empfand sie deshalb als eine „ganz andere“ klangliche Eigenschaft, die wohl kaum je dazu in der Lage wäre, über die zeitlichen Toneigenschaften zu dominieren (das hat sich mittlerweile grundlegend geändert, und wir bemerken mehr und mehr, wie sich alle musikalischen Vorstellungen in zunehmendem Masse verräumlichen). So wurde es zunächst möglich, längere punktuelle Strukturen zu artikulieren, indem man sie im Raum wandern ließ, sie von einem Ort zum andern bewegte. Ja, es ergab sich sogar eine Lösung des Problems, gleichzeitige Oberlagerungen von solchen punktuellen Strukturschichten durch räumliche Aufteilung verständlich zu machen; die vorausgegangene Auflösung aller „mehrstimmigen“ Prinzipien, der „Stimme“ als musikalischem Formbegriff überhaupt, ließ eine permanente Einschichtigkeit (wie in der asiatischen Musik) als einzige Möglichkeit offen. Die Auflösung in „Punkte“ zerstörte die „Gleichzeitigkeit“, denn überlagerte Punkte ergaben bestenfalls mehr oder weniger dichte Punktfolgen, und erst Linien, das heißt kontinuierliche Punktverbindungen, ermöglichen die Darstellung verschiedener gleichzeitiger Vorgänge. Teilt man nun eine Punktstruktur in zwei Gruppen und lässt gleichzeitig die eine von links, die andere von rechts erklingen, so erlebt man sehr wohl zwei Schichten ein und desselben Klanggebildes.
Wie in der Komposition mit elektronischen Klängen, so stellte sich auch in der Komposition mit instrumentalen Klängen das gleiche Problem. 1955 begann die Arbeit an den Gruppen für drei Orchester; sie dauerte – mit Unterbrechungen – bis Ende 1957. Schon gleich zu Beginn ergab sich die Notwendigkeit, mehr oder weniger lange Gruppen von Klängen, Geräuschen und Klanggeräuschen in verschiedenen Tempi gleichzeitig darzustellen. Um das richtig spielen und hören zu können, wurde ein großes Orchester von 109 Spielern in drei kleinere Orchester aufgeteilt; jedes Teilorchester muss von seinem eigenen Dirigenten geleitet und mit genügendem Abstand von den beiden anderen im Raum aufgestellt werden. Die drei Orchester haben ungefähr gleich starke Besetzung, und in jedem sind die folgenden Instrumentenfamilien vertreten: Holzblasinstrumente, Blechblasinstrumente, Zupfinstrumente und Streichinstrumente; jede dieser vier Familien ist nochmals aufgeteilt in eine Klanggruppe mit genau bestimmten Tonhöhen und in eine Geräuschgruppe mit nur annähernd bestimmten Tonhöhen; für den Obergang vom Klang zum kontrollierten Geräusch innerhalb jeder Instrumentenfamilie wurden vielfältige Metall-, Holz- und Fell-Schlaginstrumente ausgewählt; Instrumente mit Klavier, Celestas, Röhrenglocken, Almglocken gewähren eine günstige Verbindung zwischen Klang und Geräusch, wenn sie entsprechend angewendet sind.
Die Ähnlichkeit der drei Orchesterbesetzungen ergab sich aus der Forderung, Tongruppen im Raum von einem Klangkörper zum anderen wandern zu lassen, gleichzeitig voneinander ähnliche Klangstrukturen aufzuteilen; jedes Orchester sollte den anderen zurufen, Antwort oder Echo geben können.
Was den Orchesterklang der Gruppen als solchen angeht, so ist er ganz aus den typischen Möglichkeiten der gewählten Instrumente gewonnen, und man sollte nicht von einer „Übersetzung elektronischer Klangvorstellungen ins Orchester“ reden – wie das leider in den letzten Jahren so oft getan wurde: die Gruppen sind für eine eigene Orchesterbesetzung geschrieben, und ihr Orchesterklang ergibt sich aus eigenen Gesetzmäßigkeiten einer funktionellen Verwendung dieses Instrumentariums. Das ist modernes Orchester und hat nichts mit elektronischer Musik zu tun, die wiederum ihre ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten der Klangkomposition hat. Elektronische Musik sollte es nicht nötig haben, zum Orchesterklang zu schielen, und ganz im Instrumentalklang gehörte Orchestermusik hat es nicht nötig, sich durch pseudo[-]elektronische Effekte aufzuputzen; es geht immer nur um den funktionell richtigen Klang, nicht um den Klangeffekt – und das wissen wir Musiker am besten. Man vergisst zu leicht, da die üblichen Orchester noch eine Zusammensetzung haben, die für die klassisch-romantische Musik gebräuchlich war, und da an der Grundzusammensetzung dieses Orchesters im 18. Jahrhundert von den Mannheimern und vor allem von Haydn am Hof von Esterhazy durch Jahrzehnte hindurch herumexperimentiert wurde, bis die klassische Orchesterformation feststand. Noch heute ist es so, dass jedes normale Orchester etwa fünfzig Streicher engagiert hat, während von jeder Bläsergruppe meist nur drei Musiker und dazu zwei bis drei Schlagzeuger angestellt sind. Wenn man also heute zum Beispiel zwölf Schlagzeuger, sechs Trompeten, zwei Saxophone und eine Gitarre besetzen will, muss man Zusatzmusiker engagieren. Es wird noch eine Weile dauern, bis man die tausend Schwierigkeiten überwunden und sich mit den Orchesterorganisationen auf eine befriedigende Orchesterformation geeinigt hat; bis man sich also zur Musik der Gegenwart bekennt, statt wie bisher die Orchester einseitig für eine Musik einzurichten, die weitgehend zwischen 1700 und 1900 geschrieben wurde. Eine auch nur oberflächliche Betrachtung der heutigen Sinfonieorchester – sie heißen ja nicht umsonst so – zeigt, wie verhängnisvoll die allgemeine Vorliebe für die große heroische Vergangenheit und wie greisenhaft alt unsere heutige Musikkultur ist, die kaum noch Mut zur Gegenwart hat. Wundern wir uns nicht, wenn die junge Generation der Hörer sich weitgehend am Orchesterklang der aus Amerika importierten Jazzmusik schadlos hält.
Die Gruppen für drei Orchester werden also am besten in einem großen Raum gehört, um die Gleichzeitigkeit verschiedener Zeiträume und Bewegungen erleben zu können. Die große Schwierigkeit besteht – wie bei der elektronischen Musik – augenblicklich darin, für derartige instrumentale Raum-Musik die richtigen Säle zu finden oder zu bauen.
Die bestehenden Konzertsäle sind das Ergebnis der klassischen Konzertpraxis, wobei das Orchester auf einem Podium vor den Zuhörern aufgebaut wurde und die Verteilung der Instrumente auf dem Podium sekundär blieb – was schon äußerlich daraus hervorgeht, dass verschiedene Orchesteranordnungen bei den Dirigenten in Brauch sind. Die Forderung der Gruppen heißt also, die drei Orchester in Hufeisenform so aufzubauen, dass – vom Hörer aus gesehen – ein Orchester die ganze Linksseite einnimmt, das zweite Orchester die ganze Vorderseite und das dritte Orchester die ganze rechte Seite. So befinden sich alle Zuhörer inmitten der drei Orchester.
Aus dem Programmheft der Wiener Festwochen, 17. Juni 1959
Inhaltsverzeichnis
Gruppen für drei Orchester
Mehr Informationen
Ausgabeart: Partitur
Format: 297 x 420 mm
ISBN: 9783702431860
Seiten: 162
ISMN: 979-0-008-02587-7