

Karlheinz Stockhausen
Kurzwellen
Widmung: Professor Hugo Wolfram Schmidt dem Initiator der Kölner Kurse für Neue Musik gewidmet
Instrumentierungsdetails:
Klavier, Elektronium, Tamtam mit Mikrophon, Viola mit Kontaktmikrophon, 2 Filter mit 4 Reglern und Lautsprechern, 4 Kurzwellenempfänger.
Stockhausen - Kurzwellen für 6 Spieler
Übersetzung, Abdrucke und mehr

Karlheinz Stockhausen
Stockhausen: Kurzwellen für 6 Spieler: Klavier, Elektronium, Tamtam und Mikrophon, Bratsche mit Kontaktmikrophon, 2 Filter mit 4 Reglern und Lautsprechern, 4 Kurzwellenempfänger - Nr. 25Instrumentierung: für 6 Spieler: Klavier, Elektronium, Tamtam u. Mikrophon, Bratsche m. Kontaktmikrophon, 2 Filter m. 4 Reglern u. Lautsprechern, 4 Kurzwellenempfänger
Ausgabeart: Spielpartitur
Sprache: Deutsch | Englisch
Hörbeispiel
Werkeinführung
Wie die Prozession so sind auch die Kurzwellen
für das Ensemble entstanden, mit dem ich seit 1964 Tourneen mache. Die
Instrumente sind Klavier, großes Tamtam mit Mikrophon, Bratsche mit
Kontaktmikrophon, Elektronium, 2 Filter mit 4 Reglern, 4 Kurzwellenempfänger.
Das Werk kann auch mit einer anderen Instrumentalkombination, die der erwähnten
entspricht, interpretiert werden.
In der Telemusik komponierte ich verschiedene
Prozesse der Intermodulation in Verbindung „gefundener“ (Folklore-) Musik – aus
verschiedenen Ländern und Epochen – mit elektronischer Musik. Diese Erfahrungen
wurden in den Hymnen erweitert durch
die Integration von Nationalhymnen in elektronische Musik. In Prozession transformieren die Spieler
Ereignisse aus meinen früheren Kompositionen. In Kurzwellen schließlich hat jeder Spieler außer seinem Instrument
einen Kurzwellenempfänger, aus dem er das musikalische „Material“ empfängt, auf
das er reagiert, das er imitiert, transponiert, moduliert und ins Zusammenspiel
gegenseitiger Reaktion und Intermodulation bringt.
Zur
Erläuterung zitiere ich einige Spielanweisungen:
Es gibt vier Stimmen. Jeder Instrumentalist erhält
eine Stimme. Sie enthält eine Reihenfolge von Plus-, Minus- und
Gleichheitszeichen: Plus heißt höher ODER länger ODER lauter ODER mehr Glieder,
Minus heißt tiefer ODER kürzer ODER leiser ODER weniger Glieder, Gleich heißt
unverändert. Bei jedem Wechsel von einem Ereignis zum anderen berücksichtigt
ein Spieler ein Zeichen in der gegebenen Reihenfolge. Die Zeichen können auf
die Lage, auf die Lautstärke, auf die Dauer und auf die Zahl der Glieder eines
Ereignisses angewendet werden. Ein Ereignis wird entweder mit dem
Kurzwellenempfänger oder mit dem Instrument gespielt. Das erste muss ein
Kurzwellenereignis sein. Mit jedem Ereignis reagiert ein Spieler entweder auf
das Ereignis, das er selbst zuvor gespielt hat, oder auf ein Ereignis eines
anderen Spielers, das als nächstes beginnt, und das er sich erst ganz anhört
bevor er reagiert.
Beim Instrumentalspiel sollen Rhythmus, Klangfarbe,
melodische Kontur und Hüllkurve desjenigen Ereignisses, auf das man sich
bezieht, so ähnlich wie möglich imitiert und gemäß dem vorgeschriebenen
Veränderungsgrad transponiert werden.
Wann und wie oft jeder Spieler zwischen
Kurzwellenereignissen und Instrumentalereignissen wechselt, bestimmt er selbst.
Unmodulierte realistische Kurzwellenereignisse
sollen vermieden werden. Um ein Kurzwellenereignis zu finden, das einem
vorgeschriebenen Veränderungsgrad entspricht, soll man zuerst leise eine
Sendereinstellung suchen, und dann mit dem Ereignis beginnen. Das leise Suchen
von Sender zu Sender bis zu dem jeweiligen Moment, wo sich der Spieler für ein
geeignetes Kurzwellenereignis entscheidet, soll sich als charakteristische
Qualität mitteilen und deshalb sorgfältig und immer musikalisch gestaltet sein;
auch nicht gewählte Sendungen soll man sich für Momente mit unterschiedlicher
Dauer und Hüllkurve anhören, bevor man weiterdreht.
Jeder Spieler gibt sich einen Namen in Form eines
musikalischen Signals. Mit diesem Namen kann er von einem anderen Spieler
aufgefordert werden, ein Duo, Trio, Quartett mitzuspielen. Es gibt in den
Stimmen sechs verschiedene Zeichen, die einen Spieler zur Aufforderung der
anderen zum synchronen oder alternierenden Zusammenspiel veranlassen.
Es gibt vier Stationen, an denen die Spieler
aufeinander warten müssen. Jeder wiederholt dann sein letztes Ereignis, bis
alle angekommen sind und einer – seiner Stimme gemäß – den Einsatz zur
Fortsetzung gibt.
Eine Aufführung soll nicht wesentlich länger als
ca. 50 Minuten dauern.
Durch die
Konzentration aller Spieler auf unvorhersehbare Ereignisse aus dem
Kurzwellenbereich, von denen man nur in den seltensten Fällen weiß, wer sie
komponiert oder erzeugt hat, wie sie entstanden sind und woher sie kommen – unter
denen alle überhaupt nur möglichen akustischen Phänomene auftauchen können –,
wird eine ungeahnte Intensität des Hörens und intuitiven Spielens erreicht, die
sich auf alle Mitspieler und Zuhörer überträgt.
So haben wir
schon in den ersten Aufführungen die direkte Erfahrung einer andauernden
überpersönlichen Eingebung, ausgedehnter Stille, einer Vielschichtigkeit,
Freiheit, Weiträumigkeit und einer medialen Selbstentäußerung gemacht, die all
unsere bisherigen Erfahrungen übersteigen und etwas entscheidend Neues in der
musikalischen Interpretation überhaupt ankündigen.
Ich kann im
Augenblick über die Kurzwellen nicht
mehr berichten, als dass Zeiten und Räume, in denen wir bisher gewohnt waren,
Musik zu machen, aufgehoben sind und die Möglichkeit sich abzeichnet, mit
Bewusstseinsschichten Verbindung aufzunehmen, die uns bisher verschlossen oder
nur in äußerst kurzen Momenten intuitiver Eingebung zugängig waren.
Karlheinz
Stockhausen
Aus dem
Programmheft München, 1968