

Karlheinz Stockhausen
Mikrophonie I
Stockhausen - Mikrophonie I für Tam-Tam, 2 Mikrophone, 2 Filter und Regler (6 Spieler)
Übersetzung, Abdrucke und mehr

Karlheinz Stockhausen
Stockhausen: Mikrophonie I für 6 Spieler,Tamtam, 2 Mikrophone, 2 Filter und Regler - Nr. 15Instrumentierung: für 6 Spieler,Tamtam, 2 Mikrophone, 2 Filter und Regler
Ausgabeart: Partitur
Hörbeispiel
Werkeinführung
Nach der Komposition Kontakte für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug, in der auf Tonband gespeicherte elektronische Musik zum Spiel von zwei Instrumentalisten synchron über Lautsprecher wiedergegeben wird, suchte ich nach engeren Verbindungen von elektronischer und instrumentaler Musik. 1964 schrieb ich Mixtur für Orchester, vier Sinusgeneratoren und vier Ringmodulatoren und unmittelbar danach die Mikrophonie I. 1965 folgte die Mikrophonie II für Chor, Hammondorgel und Ringmodulatoren.
In der Mikrophonie I versetzen Spieler ein großes Tamtam mit verschiedensten Materialien in Schwingung; zwei Spieler bewegen Mikrophone mit der Hand über die Tamtamfläche; eine dritte Gruppe von Spielern transformiert mit elektronischen Filtern und Reglern die aufgenommenen Schwingungen, die gleichzeitig zum Originalklang des Tamtams über Lautsprecher wiedergegeben werden. Die Aufteilung des musikalischen Prozesses in drei selbständige Bereiche (Schallerzeugung, Schallaufnahme, Schalltransformation) macht es möglich, alle Erfahrungen der instrumentalen Praxis mit denen der elektronischen Klangtechnik kontinuierlich zu verbinden. Dadurch können beliebige Klangquellen (traditionelle Instrumente, Schallereignisse irgendwelcher Natur) in eine nach Kohärenz strebende Klangkomposition integriert werden, und der Dualismus zwischen Instrumentaltechnik und elektronischer Musik verschwindet.
Der Titel Mikrophonie weist ferner darauf hin, dass normalerweise unhörbare Schwingungen (eines Tamtams) durch einen aktiven Prozess des Abhorchens hörbar gemacht werden (dem Abhorchen eines Körpers durch den Arzt vergleichbar); das Mikrophon wird, entgegen seiner bisherigen passiven Funktion möglichst getreuer Wiedergabe, aktiv als Musikinstrument verwendet. Die Vorgänge der Klangverarbeitung und Tonband-Montage, die sich bisher ausschließlich während langwieriger Arbeitsprozesse im Studio ereigneten, werden in Mikrophonie I praktisch in der Zeit Null, also gleichzeitig mit der Klangerzeugung, durchgeführt und das Resultat sofort hörbar gemacht. Dass nun automatische und in extrem kurzer Zeit steuerbare elektronische Prozesse der Klangtransformation entwickelt werden müssen, ergibt sich von selbst.
Einer der vielen – sprachlich kaum zu fassenden – Gründe für diese neuen Verfahren der Klangkomposition mag sein, dass Komponist und Hörer im Erlebnis bisher unbekannter und ungestalteter musikalischer Prozesse sich selbst und ihre Welt auf neue Weise erfahren und – im besten Falle – für einen Moment sprachlos werden. Mikrophonie I wurde am 9. Dezember 1964 beim Musikfest Reconnaissance des musiques modernes in Brüssel uraufgeführt. Das Werk ist Alexander Schlee gewidmet.
Karlheinz Stockhausen, 1965
Aus dem Programmheft ignm Zürich, 1991