

Wolfgang Rihm
Séraphin
Kurz-Instrumentierung: 1 0 1 0 - 0 1 1 0 - 1. Teil, 2. Teil, Schl(2), Hf, Va, Vc, Kb
Dauer: 70'
Rollen:
3 Mezzosoprane 3 Alte 2 Baritone
Instrumentierungsdetails:
1. Teil
2. Teil
Flöte (+Picc
Afl(G)
Bfl)
kleine Klarinette in Es (+Kl(A)
Bkl(B)
KbKl(B))
Trompete in C (+klTrp)
Posaune
1. Schlagzeug
2. Schlagzeug
Harfe
Viola
Violoncello
Kontrabass (+5-saitig)
Tonband
Rihm - Séraphin
Musterseiten
Hörbeispiel
Werkeinführung
"Der Wunsch: eine Theaterform zu finden, die nicht auf Handlung fußt, sondern selbst Handlung ist. Das Theater als sein eigener Text. Höhle und Gleichnis, die Bühne: das Stück (der Raum). Instrumentale und vokale Klänge als Körper, personifiziert (nicht lokalisiert) durch zwei Gestalten: die eine hörbar als zwei Männerstimmen, die andere als sechs Frauenstimmen. Auch die Bilder (die abwesenden auch) sind eine 'Person', wie die Klänge und Stimmen in sich vielkehlig, durchtönende Bewegung, Abschein, Spiegelung. Die Bilder/Bildebenen treten frei hinzu und sind die Inszenierung des jeweiligen sichtbaren Augenblicks. Gleichzeitigkeit mit dem Hörbaren ist stets neu zu schaffen, sie ist nicht gegeben. 'Szene' ist der gesamte sichtbare und klingende Versuch Séraphin in allen seinen Teilen. Die 'Théâtre de Séraphin'-Texte Baudelaires und Artauds sind nicht 'der Text'. Von ihnen her strahlt aber Vorstellung in dieses Séraphin-Theater hinein: Schatten, Körper, die Droge Atem...“
(...geraucht werdend...)
So oder anders müsste ich versuchen, einen Einführungstext zu beginnen. Einer liebenswürdig fossilen Sitte nach (Aufklärung für kluge Rezipienten durch kluge Künstler!) wird diese Textsorte immer noch gewünscht. Ich kenne das und kenne es nicht. Denn Kunst ist etwas Anderes (als wüsste ich es).
Sollte ich über den dunkelharten und akzentgerissenen Klang dieses Séraphin schreiben? Ich kenne ihn als Wunsch. Über Anrufung und Anamnese in den Schichten und ihren Übermalungen? Ja, ich bin in ihnen herum geirrt. Die heran rückenden Klangwände oder das Hereinstehen der Klangfenster aus der Étude pour Séraphin, die erinnerten Metallschnitte? Ich habe sie geflohen und gesucht.
Der Autor weiß nichts im voraus. Er kennt Wünsche, die er gestaltet – aus Ahnung. Dafür: seine Technik, seine Einbildung. Die Technik der Erfahrung aber muss sich je eigen bilden... Hier beginnt schon – unterbrechend – Séraphin.
Mir wird immer klarer, dass ich nicht komponiere, indem ich disponiere, sondern dass ich Zustände von Musik selbst ausdrücke, wenn ich etwas aufschreibe. Nicht etwas, das bereit steht und über das ich verfüge, sondern etwas, dem ich ausgeliefert bin, das mir auch seinen Zustand aufzwingt und mich in die Lage versetzt, diesen Zustand dinghaft darstellen zu müssen. Das ist nur in oratio directa möglich, ohne Absicherung, Netz und doppelten Boden.
Wolfgang Rihm, August 1994