

Michael Wahlmüller
rite de passage
Dauer: 15'
rite de passage
Musterseiten
Video
Werkeinführung
Das kammermusikalisch besetzte Ensemblewerk „rite de passage“ ist um den Jahreswechsel 2014/15 entstanden und konkret für ein Konzert mit dem Ensemble „die reihe“ konzipiert worden.
Der Titel der Komposition bezieht sich auf ein, 1909 vom
französischen Ethnologen Arnold van Gennep veröffentlichtes Buch, in dem er
eine für mich wesentliche Theorie entwickelt und darstellt: Seiner Betrachtung
nach, gibt es im gesellschaftlichen und kulturellen Leben eines Menschen
zahlreiche Übergänge zwischen zwei Lebensstadien oder sozialen Zuständen. Er
nennt diese Phänomene Übergangsriten oder Passagenriten (französisch: „rites de
passage“) und teilt diese rituellen Verrichtungen in drei Phasen ein: eine
Ablösungsphase, die mit Trennungsriten verbunden ist, eine Zwischenphase, in
der sich vor allem Schwellen- oder Umwandlungsriten vollziehen und eine
Integrationsphase, in der Angliederungsriten iniziiert werden.
Zentrales Anliegen van Genneps ist es damit gewesen, der
geistigen Welt seiner Zeit bewusst zu machen, dass Rituale nicht isoliert, aus
fragmentarischer Sicht oder aus ihrem gesellschaftlichen Kontext gelöst,
untersucht werden können. Über hundert Jahre später, aber trotzdem mit dem
Blickwinkel einer „Jahrhundertwende-Stimmung“, inspirierten mich diese Gedanken
zu meinem Werk, welches formal und strukturell durchaus auf die Theorie van
Genneps und insbesondere auf das vorhin erklärte Drei-Phasen-Modell eingeht.
Zentrale kompositorische, theoretische Grundlagen meines
Personalstils, welcher natürlich auch in diesem Stück manifestiert erscheint
sind es, Tonalität und Atonalität gleichberechtigt zu behandeln, den Rhythmus
und Takt als formales Prinzip zu verwenden und in einer Welt, die ständig von
omnipotenter Kommunikation, Globalisierung und dem Anspruch des Multi-taskings
geprägt ist, herkömmliche Notationsweise mit aleatorischen Elementen zu
synchronisieren.
Allein durch alle jene, gerade dargestellten musikalischen
Methoden entstehen meiner Meinung nach ständig solche Übergangsriten wie van
Genneps sie beschreibt, Sie sind es, an denen sich mein kompositorisches
Schaffen, allgemein gesprochen, Orientierung in einer stilpluralistischen Zeit
verschafft.