

Georg Friedrich Haas
dark dreams
Kurz-Instrumentierung: 3 3 3 4 - 4 3 3 1 - Pk, Schl(2), Hf(2) - Streicher (16 14 12 10 8)
Dauer: 23'
Instrumentierungsdetails:
1. Flöte (+Picc)
2. Flöte (+Picc)
3. Flöte (+Picc)
1. Oboe
2. Oboe
3. Oboe (+Eh)
1. Klarinette in B
2. Klarinette in B
3. Klarinette in B
1. Fagott
2. Fagott
3. Fagott
Kontrafagott
1. Horn in F
2. Horn in F
3. Horn in F
4. Horn in F
1. Trompete in C
2. Trompete in C
3. Trompete in C
1. Posaune
2. Posaune
3. Posaune
Tuba
Pauken
1. Schlagzeug
2. Schlagzeug
1. Harfe
2. Harfe
Violine I (16)
Violine II (14)
Viola (12)
Violoncello (10)
Kontrabass (8)
Haas - dark dreams für Orchester
Gedruckt/Digital
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Georg Friedrich Haas
Haas: dark dreamsInstrumentierung: für Orchester
Ausgabeart: Dirigierpartitur

Georg Friedrich Haas
Haas: dark dreamsInstrumentierung: für Orchester
Ausgabeart: Studienpartitur (Sonderanfertigung)
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Hörbeispiel
Werkeinführung
Georg Friedrich Haas im Gespräch mit Karsten Witt (18. Dezember 2013)
Das letzte Stück, das von Ihnen in der Philharmonie erklungen ist, war in vain. Hat Ihr neues Werk etwas mit in vain zu tun?
Ich glaube nicht. Natürlich ist es vom selben Komponisten. Aber derselbe Komponist, 13 Jahre später, ist schon ein anderer.
Es ist für ein großes Orchester geschrieben, nicht für ein Ensemble...
…und in einem großen Orchester muss man anders intonieren als in einem Kammerensemble.
Bei Ihrem Orchesterwerk limited approximations mit 6 Klavieren im Zwölfteltonabstand und auch bei Ihrem neuen concerto grosso für 4 Alphörner und Orchester haben Sie bewusst Solisten eingesetzt, die dem Orchester Hinweise darauf geben, wie gehört werden soll.
Das gibt es in dark dreams nicht.
Aber auch in diesem Werk gibt es Mikrotonalität?
Ich schaffe es nicht ohne, ja. Es gibt ein paar Obertonakkorde, aber es ist von der Intonation her wesentlich einfacher als in vain.
Darf man Ihre Musik als Klangmusik bezeichnen, die in erster Linie auf dem Reiz der Klänge beruht?
Das ist schon etwas, das meinen Personalstil ausmacht, die Entwicklung des Klanges enthält die wesentlichen Informationen. Dabei geschieht bei diesem Stück etwas Spezielles: Gegen Ende taucht plötzlich eine ganz klare melodische Struktur auf. Nach 17 Minuten beginnt das Fagott mit einer solistischen Melodie. Nach der vorhergehenden lang andauernden Klangentwicklung erscheint diese Linearität wie ein Fremdkörper – ein expressiver Fremdkörper.
Und der wird dann vom Orchester übernommen?
Das geht dann ins Orchester hinein: es beginnt das ganze Orchester zu singen. Ich arbeite da sehr viel mit Unisoni, in Oktavverdopplungen. Stellen Sie sich eine Orgel vor, bei der Sie die Registrierung, etwa durch eine Computersteuerung, ständig verändern können – auch graduell verändern, was natürlich bei einer Orgel nicht möglich wäre.
Es entsteht also eine Art Klangfarbenmelodie.
Beim Anfang von Tetraedrite habe ich mit dieser Technik begonnen. Die Idee dazu ist mir gekommen, als ich Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker mit Mahlers 9. gehört habe. Bei Tetraedrite ist es sehr einfach: es gibt zwei Unisoni, eines aller Streicher und eines aller Bläser. Bei dark dreamsist es etwas komplizierter, weil diese Unisoni zu Oktavverdoppelungen und -vervielfachungen erweitert sind – und diese Oktavierungen sich ständig verändern. Eine Melodie beginnt zum Beispiel in der Mittellage, dann wird sie eine Oktav parallel versetzt, dann wird das tiefe Register aufgefiltert...
Wenn Sie sagen, dass Sie den Impuls zu einem Werk durch das Hören von Mahlers 9. unter Simon Rattle erhalten, dann sind also ganz konkrete Erlebnisse der Ausgangspunkt?
Ich nehme an, dass das auslösende Element nicht mehr erkennbar ist. Durch das Hören wird ein Prozess in Gang gesetzt, der sich fortsetzt.
Gab es in dark dreams auch einen konkreten Ausgangspunkt?
Indirekt ja, weil ich genau dort weiter mache, wo ich bei Tetraedrite aufgehört habe. Ein Teil von dark dreams ist außerdem durch eine Kompositionsstunde beeinflusst. Eine Studentin, Nina Young, brachte ein Stück für 6 Schlagzeuger, das mich sehr beeindruckte. Da gab es eine Stelle, wo relativ schnell die gleichen Instrumente dieselben Töne spielen: das eine spielt Dadidadidadi und das andere spielt Didadidadida. Ich sage: das ist ein aufregender Gedanke, daraus könnte man noch viel mehr machen, als Sie es in Ihrem Werk getan haben. Ich setze mich ans Klavier und beginne, darüber zu improvisieren. Dann entschuldige ich mich – ich bemerke, dass ich beginne, selbst zu komponieren. Später denke ich weiter darüber nach. Und jetzt gibt es einen langen Teil, der nur aus den Tönen Fis und Ais (= B) besteht, wo genau das passiert, was die Studentin mit den Schlaginstrumenten gemacht hat, aber in einer ganz vielfältigen Weise auf das gesamte Orchester ausgedehnt. Das ist das zweite Mal in meinem Leben, dass ich bewusst etwas von Studierenden übernehme. Beim ersten Mal handelte es sich übrigens um ein nicht sehr gutes Stück.
Sie haben aber keine dark dreams über Ihre Studenten?
Nein, ich unterrichte sehr gern. Mit dem Titel meines neuen Orchesterwerks habe ich allerdings ein etwas ungutes Gefühl. Er hat offensichtlich etwas Exhibitionistisches an sich. Aber dann habe ich doch keine Lust, das noch näher zu präzisieren. Eigentlich sagt der Titel ja alles.
Darunter kann sich jeder vorstellen, was er möchte.
So funktioniert ja Musik als Ausdruck. Meine konkreten dark dreams – wie immer sie sein mögen, falls sie überhaupt existieren sollten, was ich gar nicht behaupten möchte – sind für das Verständnis der Musik vollkommen irrelevant.
Für Sie sind sie Auslöser, Motivation. Und für den Hörer ist der Titel ein Anhaltspunkt…
Genau – eine Art Wegweiser, in welche Richtung ich vorschlage zu hören.
Erwarten Sie vom Hörer, dass er beim Hören ganz konkrete Assoziationen entwickelt, dass er sich mit seinem Leben auseinander setzt, dass er schwierige eigene Fragen bearbeitet, dass verdrängte Dinge nach oben kommen?
Es wäre ein Erfolg, wenn das passieren würde. Musik will das in letzter Konsequenz immer, dass sie uns auf uns selbst zurück wirft. Sie könnten dark dreams auch als Titel für Schuberts unvollendete h-Moll Symphonie verwenden, zumindest für den ersten Satz.
Wenn Sie ein Stück für die Berliner Philharmoniker schreiben, stellen Sie dann besondere Anforderungen an die Virtuosität der Spieler? Beschäftigen Sie solche Gedanken beim Schreiben? Oder ist es eigentlich egal, wer die Ausführung später übernimmt?
Das hohe Niveau des Orchesters sowie des Dirigenten und dessen hohe Meinung von in vain – das sind Dinge, die mich zunächst eher gelähmt als gefördert haben… Aber ein einfaches Beispiel: das Orchester hat eine ganz wunderbare Kontrafagottistin, und es gibt am Schluss ein Kontrafagott-Solo. Ich weiß, wie großartig das Blech ist, und deswegen bekommt es auch ganz besondere Aufgaben. Die Streicher sind völlig intonationssicher, und daher benutze ich das. Aber das ist nicht im Vorhinein geplant. Das Kontrafagott-Solo war zunächst gar nicht vorgesehen – es wurde am Ende klar, dass es in diese Richtung gehen musste. Da war diese wunderbare Spielerin, und so entstand die Möglichkeit für dieses Solo.
Ihre Klänge kommen erst in einem Raum zum Erklingen. Spielte die Philharmonie auch eine Rolle in Ihrer Vorstellung?
Es war wohl doch eher der abstrakte Raum, denn das Stück soll ja auch in der Carnegie Hall gespielt werden, und das sind sehr unterschiedliche Räume.
Wenn Sie schließlich die Aufführung dessen erleben, was Sie über Monate imaginiert und wofür Sie eine angemessene Notation gesucht haben – werden Sie durch die Aufführung noch überrascht, oder fühlen Sie sich nur bestätigt?
Es geschehen immer Dinge, mit denen man nicht gerechnet hat. Wenn man Glück hat, sind es schöne Dinge, die das Werk bereichern. Die kann man beim nächsten Stück dann bewusst einsetzen. Das ist ein kontinuierlicher Lernprozess. Problematisch ist bei meiner Musik leider oft die Intonation, die nicht immer so realisiert wird, wie ich sie mir wünsche. Dann kann es schon sein, dass ich negativ überrascht werde und auf die nächste Aufführung hoffen muss – oder mich an eine frühere bessere erinnern.
Gibt es auch positive Überraschungen?
Ich will ein Beispiel nennen. Im Trio des 3. Satzes von Torso, meiner Klangfarbenkomposition über Schuberts unvollendete Klaviersonate D840, habe ich die Hauptmelodie den Kontrabässen im extrem hohen Register übergeben. Das war riskant und ich hatte vorher Angst, dass das jämmerlich klingen würde. Bei der ersten Probe hatte ich sogar eine Ossia-Variante in der Tasche. Aber die Kontrabassisten waren so glücklich, einmal in ihrem Leben eine Schubert-Melodie spielen zu dürfen, dass sie sich besonders gut vorbereitet hatten. Diese Stelle war auch bei allen späteren Aufführungen immer perfekt. So etwas gibt es. Eine fundamentale Überraschung kann ich mir heute nicht mehr vorstellen, dazu bin ich mittlerweile zu erfahren.
Und haben Sie Hoffnungen bei dark dreams?
Dass man sich dem Sog der Klänge und der Emotionen hingibt und dass die sich unmittelbar mitteilen, ohne dass man viel erklären muss. Es wird immer viel über die Mikrotonalität gesprochen. Aber ich halte es zum Beispiel nicht für notwendig, dass das Publikum den ausgedehnten Abschnitt vor dem Beginn der Fagottmelodie als Abfolge von Obertonakkorden identifiziert – es reicht, den wunderbaren Klang der Blasinstrumente zu genießen.