

Georg Friedrich Haas
Die schöne Wunde
Kurz-Instrumentierung: 2 1 2 1 - 2 2 2 1 - Schl(3), Hf, Akk, Cel, Klav, Sax, Vl(4), Va(2), Vc(2), Kb(1) - 8 MusikstatistInnen (Vc(5), Kb(3))
Dauer: 150'
Libretto von: Isabel Herzfeld, Georg Friedrich Haas
Dichter der Textvorlage: Franz Kafka, Edgar Allan Poe
Widmung: für Alfred Wopmann
Chor: 5 S, 5 A, 4 T, 4 B, auch "Chor der Familie/Nachbarschaft des kranken Knaben", "Chor der Richter", "Chor der Ratten"
Rollen:
Gefangener
Bariton Landarzt
auch: Die 7. weiße Kerze
Bass Sopran
auch: Julia
Baucis
Die Schwester
Rosa Luxemburg II
Die 1. weiße Kerze Mezzosopran
auch: Rosa
Die Mutter
Rosa Luxemburg III
Die 2. weiße Kerze Schauspielerin
auch: Rosa Luxemburg
Lorenzina
Die 3. weiße Kerze Countertenor
auch: Romeo
Philemon
der kranke Knabe
Die 4. weiße Kerze Tenor
auch: Pferdeknecht
Der Alte
Die 5. weiße Kerze Schauspieler
auch: Liebhaber
Die 6. weiße Kerze
Instrumentierungsdetails:
2 1 2 1 - 2 2 2 1 - Schl(3), Hf, Akk, Cel, Klav, Sax, Vl(4), Va(2), Vc(2), Kb(1) - 8 MusikstatistInnen (Vc(5), Kb(3))
Haas - Die schöne Wunde
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Georg Friedrich Haas
Haas: Die schöne WundeAusgabeart: Studienpartitur (Sonderanfertigung)
Sprache: Deutsch
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Werkeinführung
Das Thema der Oper Die schöne Wunde ist so alt wie die Gattung Oper: Liebe und Tod. Aber hier geht es nicht um die Geschichte einer Beziehung zwischen zwei Menschen in ihrem Umfeld, sondern es handelt sich um ein Netz von selbständigen Handlungssträngen mit hinein gewobenen Bildern.
Träger des Dramas ist die Musik, die dramatisch gestaltete Zeit der Klänge. Zwei Geschichten stehen im Zentrum: Edgar Allan Poes The Pit and the Pendulum und Franz Kafkas Ein Landarzt. Dazu kommen Tableaux vivants: Episoden von Liebe, Sexualität, Hoffnung und Hoffnungsverlust.
Das Thema von Edgar Allan Poes Erzählung ist die Erwartung des Todes – und die grenzenlose Einsamkeit des diesen Tod erwartenden Ichs. Die Inquisition wird in diesem Text nicht thematisiert, es bleibt unerwähnt, warum der Gefangene verurteilt wurde, seine Peiniger treten niemals in Erscheinung, ihre Motive bleiben unerwähnt, der Ich-Erzähler ist hilflos einer anonymen Maschinerie ausgeliefert. Das „Pendel“ ist ein „Symbol der Zeit“.
Auch in Kafkas Landarzt wird der Tod thematisiert: Dem kranken Knaben ist nicht zu helfen. Nicht einmal durch die Liebe des Arztes, der sich „zu ihm ins Bett legt“. Der Landarzt, der im Gegensatz zum Gefangenen aktiv sein kann und von seinen Pferden zwar hin- (aber nicht zurück-)gebracht wird, bewirkt letztlich genauso wenig wie der Gefangene: Der Gefangene bleibt passiv / Der Landarzt folgt dem „Fehlläuten der Nachtglocke“.
Während diese beiden Erzählstränge, die sich immer wieder thematisch berühren, eine zwar hoffnungslose, aber doch zielgerichtete, dynamische Entwicklung beinhalten, werden in den Tableaux vivants statische, unveränderbare Bilder gezeigt. Die zentralen Themen dieser Tableaux vivants sind Liebe und Erotik: mehrmals erscheint der Dialog zwischen Romeo und Julia („Es war die Nachtigall und nicht die Lerche…“), jedes Mal in einer völlig anderen musikalischen Gestalt. Zunächst wird dieser Dialog durch ein sehr eindeutiges sexuelles Sonett von Aretino kontrapunktiert. Dann werden einzelne Momente aus diesem Text heraus gefiltert, wobei der Inhalt umgedeutet wird: Szene der unerfüllten, sehnsüchtigen Liebe, Szene der unwiederbringlich verlorenen Liebe. Zuletzt werden diese Texte vom Chor der Ratten zitiert, die den Gefangenen ja nur scheinbar befreien.
Dreimal werden auch Texte aus dem Hohelied Salomons vertont, Liebe wird als metaphysisches Moment dargestellt. Hier kommt es nicht zum Dialog: Die Liebenden singen/sprechen die Texte jeweils selbständig vor sich hin. Der Kontext macht deutlich, dass die Metaphysik sich mit der Sinnlichkeit vereint: Zunächst werden die Texte (wie üblich) Mann und Frau zugeordnet, dabei ertönen in einer zweiten Ebene Klänge, die als Geräusche des Geschlechtsverkehrs verstanden werden können. Dann besingen sich Mann und Mann bzw. Frau und Frau. Das letzte Wort hat Pietro Aretino mit einem Ausschnitt aus einem erotischen Sonett.
Als einsame, isolierte Gestalt tritt Rosa Luxemburg auf, in einem Monolog (Brief), den sie in Momenten der Isolation verfasst hat. Rosa Luxemburgs Text fordert Aktivität auf der Basis einer alles umfassenden Liebe und Lebensfreude („Die Welt ist so schön in allem Graus“).
Dem Musizieren in völliger Dunkelheit kommt in Die schöne Wunde eine besondere Rolle zu. Schon nach wenigen Minuten des Prologs wird es völlig dunkel. Die InterpretInnen spielen auswendig, ohne Pultbeleuchtung, ohne dirigiert zu werden. Auch jenes Tableau vivant, in dem sexuelle Klänge realisiert werden und der Chor Texte aus dem Hohelied Salomons singt, wird in völliger Dunkelheit interpretiert (es dauert fast 9 Minuten). In der anschließenden Szene (der Gefangene erkennt das Folterinstrument des Pendels) ist ein „Lichtcrescendo“ komponiert: Die Szene wird allmählich zunächst nur ein wenig beleuchtet, dann steigert sich das Licht langsam bis zu einer unerträglichen Helligkeit.
Im ersten Abschnitt der Oper sind die InstrumentalistInnen um das Publikum herum aufgestellt. Sie bilden einen Klangraum aus – auch akustisch – isolierten Punkten. U. a. wird hier auch die Wirkung einer Pendelschwingung erzielt, in die das Publikum einbezogen ist: Die Klänge des „Pendels“ schwingen periodisch von vorne nach hinten und zurück. Am Ende des ersten Abschnittes (Todesvision) gerät der „Klangraum“ ins Wanken und wird zur endlosen abwärtsgehenden Spirale. Nach der Pause spielen die InstrumentalistInnen rechts, links und hinter der Szene.
Georg Friedrich Haas