

Georg Friedrich Haas
Unheimat
Kurz-Instrumentierung: Vl(11), Va(4), Vc(3), Kb(1)
Dauer: 20'
Instrumentierungsdetails:
1. Violine
2. Violine
3. Violine
4. Violine
5. Violine
6. Violine
7. Violine
8. Violine
9. Violine
10. Violine
11. Violine
1. Viola
2. Viola
3. Viola
4. Viola
1. Violoncello
2. Violoncello
3. Violoncello
Kontrabass
Haas - Unheimat für 19 Streichinstrumente
Übersetzung, Abdrucke und mehr

Georg Friedrich Haas
Haas: UnheimatInstrumentierung: für 19 Streichinstrumente
Ausgabeart: Studienpartitur (Sonderanfertigung)
Musterseiten
Hörbeispiel
Werkeinführung
Die Sehnsucht des Außenseiters
Georg Friedrich Haas spricht mit Florian Olters über Unheimat
„Die Liebe zum Erklingenden, die Liebe zu den Klängen, die sich wie Lebewesen in Raum und Zeit entfalten, ist für mich eine der Grundvoraussetzungen meiner Arbeit“, erklärt Georg Friedrich Haas. Auch in seinem neuesten Werk Unheimat – Musik für 19 Streicher, das das Münchener Kammerorchester mit Unterstützung der Ernst von Siemens Musikstiftung in Auftrag gegeben hat und nun zur Ur- und Zweitaufführung bringt, setzt sich der 1953 geborene österreichische Komponist mit Mikrointervallik und Obertonreihen auseinander. Zudem sieht das Werk eine spezielle Raumanordnung vor: Die drei Gruppen sitzen voneinander getrennt am Podium, der Kontrabass, dem eine Sonderrolle zukommt, ist wiederum zwischen der ersten und zweiten Gruppe positioniert. Nicht zuletzt ist das neue Werk auch eine Auseinandersetzung mit den Vorarlberger Alpen.
Florian Olters: Herr Haas, fühlen Sie sich heimatlos?
Georg Friedrich Haas: Na ja – ich bin zwar in Graz geboren, aber von 1955 bis 1971 lebte ich im südlichen Vorarlberg. Direkt in den Alpen, im Wintersportort Tschagguns. Der Werktitel Unheimat verrät ungefähr, wie ich mich dort gefühlt habe. Da stecken viele Erinnerungen drinnen.
FO: Welche denn?
GFH: Ich bin dort aufgewachsen als jemand, der die Sprache nicht gelernt hat – es wird dort ein alemannischer Dialekt gesprochen – und ich war Angehöriger einer Art Religionsgemeinschaft. Ich bin protestantisch aufgewachsen, dort ist es sehr, sehr katholisch. Der Werktitel sagt ja zweierlei, nämlich dass man sich einerseits eine Heimat wünscht und dass andererseits diese Heimat nicht vorhanden ist.
FO: Wie komponiert man diese 'Dialektik'?
GFH: Dem Werk liegt kein konkretes Programm zugrunde. Aber wenn Sie sich die Stellen anschauen, wo mikrotonal um einen einzelnen Ton herum gespielt wird und der einzelne Ton wiederum sehr expressiv ausgestaltet ist, dann hat das schon etwas mit dieser vergangenen Welt dort zu tun – rein assoziativ. Und da ist die Kontrabass-Stimme: in einem Stück für Streichorchester ist der Kontrabass natürlich ein Außenseiter.
FO: Warum?
GFH: Das hat auch historische Gründe. Das Instrument ist anders gebaut als die anderen Streicher und klingt anders. Vielleicht passt der Kontrabass mit Blasinstrumenten sogar besser zusammen als mit Streichern, denken Sie nur an den Jazz. Der Kontrabass gehört also eigentlich nicht dazu, ist aber trotzdem irgendwie dabei.
FO: In Ihrem Werk hat der Kontrabass sehr viele Pausen.
GFH: Eben, das stimmt. Er spielt den ersten Ton und am Schluss die Kadenz, dazwischen hat er kaum mehr eine Funktion. In einem tonalen Werk hat der solistische Kontrabass durchaus eine Funktion, aber wenn die Tonalität verloren gegangen ist, weiß man als Komponist nicht so recht, wie man das Instrument integrieren soll. Deswegen also steht der Kontrabass außerhalb.
FO: Haben Sie eigentlich mittlerweile eine Heimat für sich gefunden?
GFH: Es gibt eine schöne Dokumentation, die der ORF produziert hat. Dafür sind wir auch nach Tschagguns gereist. Wir saßen in derselben Seilbahn, mit der ich auch als Kind gefahren bin. Während der Fahrt wurde ich zur Heimat befragt, das war natürlich sehr suggestiv – an diesem Ort diese Frage. Es gibt verschiedene Heimaten, eine Heimat gibt es nicht. Ich glaube, es wird im Laufe des 21. Jahrhunderts nur noch eine verschwindende Minderheit geben, die so etwas wie eine Heimat hat.
FO: Andererseits könnte für uns Europäer mit der EU eine neue Heimat entstehen, zumindest aber ein neues Heimatverständnis. Fühlen Sie sich als Europäer?
GFH: Also, meine Frau ist aus Japan. (lacht) Ich glaube nicht, dass die europäische Idee, von der Sie reden, tatsächlich hält. Ich habe ein Jahr in Irland gelebt, das würde ich dort nicht unbedingt als Heimat bezeichnen – obwohl das Land ja zur Europäischen Union gehört. Natürlich hat Europa eine große Bedeutung, aber ich vermute, dass ich mich in New York sehr viel heimischer fühlen würde als etwa auf Kreta.
FO: Würden Sie sich auch in Japan wohler fühlen? Immerhin gehört ja die Mikrotonalität, mit der Sie auch in Unheimat arbeiten, im fernen Osten zum musikalischen Erbe?
GFH: Jetzt müssten Sie mit meiner Frau reden, die Ihnen auf die Frage, ob meine Mikrotonalität japanisch geprägt sei, antworten würde: „Nein, auf gar keinen Fall.“ Ich schätze die japanische Tradition der Mikrotonalität, aber meine ist typisch europäisch. Und zwar insofern, als ich genau das aufgreife, was in der europäischen Musizierpraxis immer gemacht wurde. Wenn Sie sich die achteltönigen Abweichungen in den Noten anschauen, so ist das nur eine minimale Vergrößerung von dem, was die Wiener Philharmoniker ohnedies tun – aber es ist eben nicht notiert. Meine Mikrotonalität ist auf gar keinen Fall ein Exotismus, da würde ich mich sehr unwohl fühlen. Und die Obertonreihe, mit der ich arbeite, kommt in der japanischen oder auch indischen Musiktheorie überhaupt nicht vor.
FO: Nun gibt es im 20. Jahrhundert in Europa verschiedene Ansätze von Mikrotonalität. Zu den ersten mikrointervallisch arbeitenden Komponisten zählte der Tscheche Alois Hába (1893-1973). Inwieweit spielt dessen Schaffen für Sie eine Rolle?
GFH: Es ist wunderbar, dass Sie auf Hába zu sprechen kommen; der wird gerne vergessen. Allerdings spielt Hába für mich in formaler Hinsicht eine große Rolle. Die Formabschnitte stehen bei ihm in keinem Zusammenhang, und dürfen es auch geradezu nicht. Er bewegt sich frei assoziativ von einem Punkt zum anderen. Andererseits gibt es in seiner Harmonielehre zwei Gesetze, die meiner Meinung nach in der Musik die einzigen sind, die wirklich Allgemeingültigkeit besitzen. Erstens: Jeder Ton kann mit jedem Ton zu einem sinnvollen Zusammenklang gefügt werden. Zweitens: Jeder Klang kann mit jedem Klang in einen sinnvollen Zusammenhang gestellt werden. Der Rest seiner Harmonielehre ist dann etwas zeitgebundener.
FO: Fühlen Sie sich wohl, dass Unheimat in der aktuellen 'Alpen'-Saison des Münchener Kammerorchesters zu Gehör kommt und Teil dieser Auseinandersetzung ist?
GFH: Man kann sogar sagen, dass der Titel des Werks nicht entstanden wäre ohne das Konzept 'Alpen'. Ich muss aber auch sagen, dass der Werktitel erst kam, als das Komponieren abgeschlossen war. Das ist eigentlich in allen Stücken von mir so: Ich möchte durch die Sprache des Titels nicht eingeengt sein. Er ist auch eine Hilfe für die Konzertbesucher, man sollte gerade in der neuen Musik den Zuhörern eine Assoziation schenken.