

Germán Toro Pérez
Trazos II
Kurz-Instrumentierung: 4 4 4 4 - 4 4 3 1, perc(4), hp(2), pno(2), str
Dauer: 14'
Instrumentierungsdetails:
1.Flöte
2.Flöte
3.Flöte (+Picc)
4.Flöte (+Picc)
1.Oboe
2.Oboe
3.Oboe (+Eh)
4.Oboe (+Eh)
1.Klarinette in B
2.Klarinette in B
3.Klarinette in B (+Bkl(B))
4.Klarinette in B (+Bkl(B))
1.Fagott
2.Fagott
3.Fagott
4.Fagott (+Kfg)
1.Horn in F
2.Horn in F
3.Horn in F
4.Horn in F
1.Trompete in C
2.Trompete in C
3.Trompete
4.Trompete
1.Posaune
2.Posaune
3.Posaune
Basstuba
1.Schlagzeug
2.Schlagzeug
3.Schlagzeug
4.Schlagzeug
1.Harfe
2.Harfe
1.Klavier
2.Klavier
Violine I (16 Spieler)
Violine II (14 Spieler)
Viola (12 Spieler)
Violoncello (10 Spieler)
Kontrabass (8 Spieler)
Trazos II
Gedruckt/Digital
Übersetzung, Abdrucke und mehr

Germán Toro Pérez
Trazos IIInstrumentierung: für grosses Orchester mit zwei Klavieren und zwei Harfen im Vierteltonabstand
Ausgabeart: Dirigierpartitur
Musterseiten
Hörbeispiel
Werkeinführung
Trazos II
für großes Orchester mit 2 Klavieren und zwei Harfen im ¼-Ton Abstand (2020)
Auftragswerk von Wien Modern und dem Radio Symphonie Orchester Wien
Ein Arbeitsbericht
Die Formulierung von Gedanken über Stücke und kompositorische Prozesse ist immer eine Herausforderung. Einführungstexte laufen Gefahr, in technische Beschreibungen oder in subjektive Darstellungen zu flüchten bzw. in Floskeln zu verfallen. Bei Trazos II kommt die Schwierigkeit hinzu, dass zum jetzigen Zeitpunkt, da dieser Text geschrieben werden muss, das Stück noch nicht fertig ist. Deshalb kann dies hier nur ein unvollständiger Arbeitsbericht und eine Beschreibung der Voraussetzungen der bisherigen Arbeit sein.
Trazos II für großes Orchester führt Aspekte weiter, die in Trazos für Streichtrio, Klavier und live Elektronik (2019) im Mittelpunkt stehen: Zunächst rein äußerlich die Lust an der Untersuchung von mikrotonalen Strukturen. Ein Grund dazu war der Wunsch, über die Jahre entwickelte Strategien der Tonhöhenorganisation zu erweitern und ausgehend von Skalen und Intervallen einen Zugang zur Mikrotonalität zu finden. Andere Zugänge habe ich in Lot (auch 2019) ausgehend von Obertonspektren und Teiltönen aus Feedbackrohren sowie in Arco für 2 Klaviere im 1/4-Ton Abstand (1995) mit anderen Mitteln probiert.
Rein äußerlich deshalb, weil das meiner Meinung nach nicht ausreicht, um die Idee eines Stückes abzuleiten oder darauf zu begründen. Und es ist auch nichts Neues. Dennoch haben mich die ersten Versuche mit dem Computer mithilfe eines einfachen Sinuston-Synthesizers begeistert. Ich habe viele Stunden damit verbracht, Viertelton-Intervallsequenzen, die das Frequenzregister durchschreiten, systematisch zu erstellen und zu lernen, ihre Qualitäten differenziert zu hören. Am Ende habe ich sie als Musik verinnerlicht. In beiden Stücken bleibt etwas von diesem Abtasten und Durchhören als Lernprozess erhalten. Der erste große Teil von Trazos II, an dem ich gerade arbeite, ist nichts anderes als eine Reihe von Variationen einer Akkordsequenz, die auf einem Intervall basiert. Das Basisintervall wird zunehmend größer und die Sequenzen schreiten über das Register und das Klangfarbspektrum des Orchesters hindurch. Die Form spiegelt den Hörprozess bei der Erschließung des Tonmaterials wieder.
Die Wiederentdeckung des Variationsprinzips als grundlegender kompositorischer Vorgang verbunden mit der Arbeit mit Sequenzen und formalisierten Tonhöhenstrukturen ist in den letzten Stücken z. B. im Musiktheaterstück Reise nach Comala (2015-17) deutlich spürbar. Das alles hört sich zwar nach traditionellem Tonsatz an, aber das ist vollkommen irrelevant. Es gibt zeitlose Phänomene in der Musik und Variation ist das formbildende Prinzip schlechthin. Die Beschäftigung mit mikrozeitlichen Phänomenen in der elektronischen Musik bringt mich dazu, sie als Gegenstand von Variation zu betrachten: Resonanz, Schwebung, zeitliche Dekorrelation beispielsweise. Im Überangebot an kontextbezogenen Stücken und in der daraus resultierenden Tendenz zur Funktionalisierung von Musik verspüre ich einen Verlust an Neugier für die grundlegenden, unerschöpflichen Phänomene musikalischer Materie und ihre Gestaltung.
Ein zweiter Gedanke war der Wunsch nach Klarheit, nach Reduktion, nach einer Musik wie Lichtkunst, in der alles gehört werden kann. Dies in ein kleinbesetztes Stück umzusetzen ist schwer genug. Aber es in ein Stück für vierfach besetztes Orchester umsetzen zu wollen ist eigentlich ein Widerspruch. Ich bin mir dessen bewusst und dennoch, trotz der Komplexität, die ein solches Werk bedeutet, bleibt dieses Ziel – vielleicht als offene Aufgabe – bestehen. Als Wunsch nach einer Erfahrung vom Leben, die möglichst das Überflüssige vermeidet und sich auf das Einfache aber Wichtige konzentrieren kann. «Das Klassische ist das Einfachste, und alte und neue Texte vertreten es gleich gut» schrieb Ingeborg Bachmann. Dieser Satz begleitet mich seit Jahrzehnten und ist zum Wegweiser geworden. Und übrigens, obwohl oder vielleicht weil ich als Elektroakustiker so viel darüber und davon erforscht, unterrichtet, gehört, es geliebt und selbst erzeugt habe, muss ich heute ehrlich gestehen: ich habe genug vom maskierenden, alles überdeckenden Geräusch.
Was Trazos aber letztendlich emotional zündete war ein Abschied. Und dieser Abschied trat einen Prozess von Erinnerung los, der im gegenwärtigen Stück weiterging und geht: an Momente, Situationen, Empfindungen, an das früher noch unbelastete Erlebnis einer überschwänglichen Natur und – vor allem – an Menschen. Ich habe immer wieder das Werk anderer als Gegenstand genommen, um Aspekte des Lebens, die mich direkt berühren, indirekt zu reflektieren. Allen voran – und aus der Erfahrung vom Leben in einer fremden Sprache – die Suche nach einer eigenen Sprache und das Verständnis davon, was Sprache überhaupt ist, wie sie unsere Welt bildet und bestimmt. Bei Trazos I und II passiert etwas Neues. Ich blicke direkt auf die eigene Erinnerung zurück und halte mich im Schreiben dort auf. Womit ich auf eine einfache aber wichtige Erkenntnis zurückkomme: Kunst, bevor sie zu Begriff, Struktur und Handwerk fortschreitet, entsteht im möglichst präzisen und ehrlichen (Ein-)blick.
Wohin es führt, kann ich nicht sagen. Schließlich sind diese Stücke auch ein Versuch, das Schreiben selbst neu zu erfahren. «Linien ziehen» nennen es Philosophen (von dort kommt der Titel «Trazos» her). Schreiben als direkter, persönlicher, ergebnisoffener aber zugleich stringenter Vorgang, als ein Drahtseilakt zwischen Genauigkeit und Ungewissheit.
Hofstatt, 13. 5. 2020
Was braucht man, um dieses Werk aufzuführen?
*Harfe 2 und Klavier 2 werden um ¼-Ton tiefer gestimmt und klingen ¼-Ton tiefer als notiert.