
Trauer um Wolfgang Rihm

Trauer um Wolfgang Rihm
Die Universal Edition trauert um Wolfgang Rihm
Mit Wolfgang Rihm verliert die Musikwelt nicht nur einen begnadeten Komponisten, sondern einen Universalgelehrten, dem die Förderung des Nachwuchses ebenso am Herzen lag wie das persönliche Engagement für Kulturpolitik.
Musik gleicht dem Leben, ist Abschein seiner Prozesse.
(Wolfgang Rihm)
1952 in Karlsruhe geboren, beschäftigte sich Wolfgang Rihm bereits früh mit Malerei, Literatur und Musik. Im jungen Alter von 11 Jahren begann er zu komponieren und studierte bereits während seiner Schulzeit von 1968 bis 1972 an der Hochschule für Musik Karlsruhe bei Eugen Werner Velte. Hier setzte er sich intensiv mit der Musik Arnold Schönbergs und Anton Weberns auseinander und schloss zeitgleich mit seinem Abitur auch das Studium in Komposition und Musiktheorie ab. Weitere Studien ab 1972 führten ihn zu Karlheinz Stockhausen nach Köln sowie an die Hochschule für Musik nach Freiburg, wo er von 1973 bis 1977 bei Klaus Huber Komposition und bei Hans Heinrich Eggebrecht Musikwissenschaft studierte. Darauf folgten eigene Dozententätigkeiten in Karlsruhe, an der Musikhochschule München sowie ab 1978 bei den Darmstädter Ferienkursen, die er selbst ab 1970 regelmäßig besucht hatte. Im Jahr 1985 übernahm Rihm die Professur für Komposition an der Musikhochschule Karlsruhe, die einst sein Lehrer Eugen Werner Velte innehatte.
Mit seinem außerordentlichen Talent schrieb Wolfgang Rihm über fünf Dekaden hinweg mit an der jüngsten Musikgeschichte, setzte sich dabei stets über jegliche Ideologien hinweg und bezog aktuelle Themen ebenso in seinen Schaffensprozess mit ein wie epochale Veränderungen.
Er hat die Herausforderung der dringlichsten expressiven Fragen angenommen, die in den siebziger Jahren mit dem Ende der Moderne aufgekommen waren, und kämpfte mit intellektueller Redlichkeit und Mut gegen das Phantom des rationalen Dogmatismus und postmodernem Zynismus. So nahm er beispielsweise als einer der Ersten ab den 1990-er Jahren auch den Komponisten Luigi Nono in seine Lehrinhalte auf und strebte in seinem gesamten Schaffen nach Balance zwischen Ausdruck und Ernsthaftigkeit, die für ihn den innersten Kern wahrer Kunst ausmachte, wie er selbst meinte. Gleichzeitig blieb Wolfgang Rihms Musik stets im Klang sowie in rhythmischer und harmonischer Kraft verwurzelt, mit klaren formalen, oft großräumigen Strukturen.
Das Einzige, das die Musik braucht, sind Ohren, die wirklich offen sind.
(Wolfgang Rihm)
Durchbruch mit 22 Jahren
Der breiten Öffentlichkeit wurde Wolfgang Rihm spätestens mit der Aufführung seines Orchesterwerks Morphonie – Sektor IV bei den Donaueschinger Musiktagen im Jahr 1974 bekannt. Ein weiterer Meilenstein gelang dem jungen Rihm mit der Kammeroper Jakob Lenz 1977, die den Beginn seiner Zusammenarbeit mit der Universal Edition darstellen sollte.
Zu den wichtigsten Werken Wolfgang Rihms zählen die Opern Die Eroberung von Mexico, Die Hamletmaschine, Dionysos, Jakob Lenz, Proserpina und Das Gehege. Im Bereich des Orchesterrepertoires sind vor allem Verwandlung 1-6, Nähe fern 1-4, Transitus III, sein Zweites Klavierkonzert und die Werke Ernster Gesang, Gesungene Zeit oder Lichtes Spiel zu nennen. Für kleinere Ensembles schrieb er neben vielen anderen Werken Jagden und Formen, Séraphin-Sphäre, Fetzen oder Mnemosyne.
Musik ist Gegenwart. Genauer noch: Gegenwart, die sich im Augenblick ihres Erscheinens vergegenwärtigt. Sie ist vorher nur als Ahnung und nachher nur als Erinnerung vorstellbar.
Musik ist, wenn sie ist. Sie existiert nicht daneben.
(Wolfgang Rihm)
Politisches Engagement
Neben seinem umfangreichen musikalischen Schaffen, das mehr als 400 Werke zählt, machte er sich durch sein kulturpolitisches Engagement einen Namen. So wurde er 1982 Präsidiumsmitglied des Deutschen Komponistenverbands, 1984 des Deutschen Musikrats, 1985 wurde er Kuratoriumsmitglied der Heinrich-Strobel-Stiftung und ab 1989 zählte er zu den Mitgliedern des GEMA-Aufsichtsrates. Weiters betätigte er sich zwischen 1984 und 1989 als Mitherausgeber der Musikzeitschrift Melos und fungierte als musikalischer Berater für die Deutsche Oper Berlin (1984-1990) sowie des Zentrums für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (1990-1993).
Kunst machen heißt immer, sich angreifbar zu machen.
Das muss man aushalten, dem muss man sich überlassen.
Um unangreifbar zu sein, muss man entweder Kritiker werden oder Bankdirektor.
Aber man darf nicht Künstler werden.
(Wolfgang Rihm)
Würdigungen
Zahlreiche Ehrungen würdigen Rihms musikalische Karriere. So wurde ihm im Jahr 1995 das Komponistenportrait des Rheingau Musik Festival gewidmet, 1998 erteilte ihm die Freie Universität Berlin die Ehrendoktorwürde für sein umfangreiches musikalisches und reflektiertes musikwissenschaftliches Schaffen. 2001 erhielt er den französischen Orden „Officier dans l’Ordre des Arts et des Lettres“. 2003 wurde ihm der renommierte Ernst von Siemens Musikpreis zuteil, 2010 erhielt er den Goldenen Bären für sein Lebenswerk der Biennale von Venedig, 2012 den Orden „Pour le Mérite for Sciences and Arts“. In der Saison 2013/2014 ernannte ihn die Sächsische Staatskapelle Dresden zum „Capell-Compositeur“, 2013 wurde er „Commandeur dans l’ordre des Arts et des Lettres“, 2014 erhielt er den Robert Schumann Prize for Poetry and Music, 2015 die Ehrenmedaille des Landes Salzburg. 2016 wurde ihm die künstlerische Leitung der Lucerne Festival Academy, die einst von Pierre Boulez initiiert wurde, übertragen und er wurde zum Mitglied der „Académie royale des sciences, des lettres et des beaux-arts de Belgique“ bestellt. 2022 wurde ihm anlässlich seines 70. Geburtstags die Festspielnadel mit Rubinen durch Markus Hinterhäuser verliehen.
Seine Wegbegleiter schätzten an Rihm nicht nur seine außerordentliche Musikalität, sondern insbesondere auch sein umfangreiches Wissen: „Rihm ist eine überlebensgroße Erscheinung, sowohl was sein enzyklopädisches Wissen anbelangt, als auch sein Schaffen, das ebenfalls Enzyklopädisches, Allumfassendes an sich hat“, so Bálint András Varga einst.
Wolfgang Rihm zählt zu den meistgespielten zeitgenössischen Komponisten Europas – bis zuletzt war er als Künstlerischer Leiter der Lucerne Festival Academy tätig , in der bevorstehenden Saison 2024/25 sollte er zudem als Composer in Residence der Berliner Philharmoniker fungieren.
Der Ausnahmekomponist starb in der Nacht zum 27. Juli im Alter von 72 Jahren.
Astrid Koblanck, Vorstandsversitzende der Universal Edition über Wolfgang Rihm:
„Wolfgang Rihm wird uns als Schöpfer von musikalischen Werken mit unzähligen Bedeutungsebenen in Erinnerung bleiben. Persönlich prägten mich insbesondere die wunderbaren und voll Humor geprägten Gespräche mit diesem eloquenten Universalgelehrten, der bis zuletzt ein tiefes Interesse an seinen Mitmenschen zeigte und sich stets der eigenen Vorbildwirkung sowie der kulturpolitischen Verantwortung bewusst war. Mit Wolfgang Rihm verliert somit nicht nur die Universal Edition, sondern die gesamte zeitgenössische Musikwelt eine wichtige Schlüsselfigur.“

Zeichnung des verstorbenen Komponisten von Verena Rihm

Die Beisetzung fand auf dem Hauptfriedhof Karlsruhe im Kreise der Familie statt.
Eine Bitte der Witwe Verena Rihm:
"Anstatt Blumen bitte ich um eine Spende
für den Förderverein Hospiz Arista e.V.
IBAN DE91 6605 0101 0001 1207 24
Stichwort Wolfgang Rihm"