

Wolfgang Rihm
Requiem-Strophen
Kurz-Instrumentierung: 2 2 2 2 - 2 2 2 1 - Pk, Schl(2), Hf, Klav, Str
Dauer: 80'
Chor: SATB (4–8-stimmig)
Solisten:
2 Soprane (hoch)
Bariton
Instrumentierungsdetails:
1. Flöte (+Afl(G))
2. Flöte (+Afl(G)
Picc)
1. Oboe
2. Oboe (+Eh)
1. Klarinette in A
2. Klarinette in A (+Bkl(B))
1. Fagott
2. Fagott (+Kfg)
1. Horn in F
2. Horn in F
1. Trompete in C
2. Trompete in C
1. Posaune
2. Posaune
Basstuba
Pauken
1. Schlagzeug
2. Schlagzeug
Klavier (+Org)
Harfe
Violine I
Violine II
Viola
Violoncello
Kontrabass
Rihm - Requiem-Strophen für Soli, gemischten Chor und Orchester
Gedruckt/Digital
Übersetzung, Abdrucke und mehr

Wolfgang Rihm
Rihm: Requiem-StrophenInstrumentierung: für Soli, gemischten Chor und Orchester
Ausgabeart: Studienpartitur (Sonderanfertigung)

Wolfgang Rihm
Rihm: Requiem-StrophenInstrumentierung: für Soli, gemischten Chor und Orchester
Ausgabeart: Klavierauszug=Chorpartitur
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Werkeinführung
Anna Prohaska im Interview über Requiem-Strophen:
Frau Prohaska, wenn Sie Musik von Wolfgang Rihm singen, bewegt sich Ihre Stimme mitunter in stratosphärischen, also sehr hohen Regionen. Man könnte sagen, in der „Luft von anderen Planeten”. Empfinden Sie es als eine Art Frischluftzufuhr, wenn Sie Musik von Rihm zum Studium bekommen?
Prohaska: Frischluft auf jeden Fall in dem Sinne, dass es bisher fast immer komplett neue Stücke waren, die ich gesungen habe und die Wolfgang Rihm zum Teil wirklich für mich geschrieben hat. Das ist ein unglaublich tolles Erlebnis, die Partitur zum ersten Mal aufzumachen, da ist man natürlich sehr aufgeregt und freut sich. Musikalisch gesehen würde ich aber sagen, dass Rihms Musik immer stark in der Tradition gestanden hat. Rihm hat seine eigene Klangsprache, seine eigene Brillanz in seiner Kreativität, aber er steht wirklich mit beiden Beinen fest in der Musiktradition. Das finde ich spannend bei ihm, denn man muss ja nicht immer das Rad neu erfinden, wenn man ein neues Stuck schreibt.
Wie liegt Rihm für ihre Stimme? Kann man das verallgemeinern?
Prohaska: Rihm schreibt immer für Individuen, für den Menschen, für den er es komponiert, der die Uraufführung singt. Er kennt die Extremregionen dieser jeweiligen Stimme, aber er kennt gleichzeitig auch, wo sich diese Stimme am meisten wohlfühlt. Ich werde zum Beispiel oft als Koloratursopran bezeichnet, was ich aber eigentlich nicht bin. Ich bin ein lyrischer Sopran mit Koloratur. Ich habe nie Zerbinetta gesungen, ich habe nie Königin der Nacht gesungen. Ich habe die Töne, aber ich wohne nicht da oben – und das weiß Rihm. Deswegen sind diese Requiem-Strophen mit den beiden Sopranen, ich singe den 2. Sopran, so genial, weil meine Partie zum Teil sehr tief ist. Sie geht vom g dann bis zum dreigestrichenen d hinauf, aber trotzdem ist da immer so eine wunderbare Balance, dass die Stimme sich zwischendrin immer wieder in den niederen Regionen ausruhen darf und nicht immer da oben klebt im ewigen Eis.
Wie war das, als Sie die Partitur zum ersten Mal gesehen haben?
Prohaska: Ja, das war sehr witzig, da haben wir uns getroffen, Herr Schaufler, in Berlin bei der Aufführung dieses großen Tanz-Poeme Tutuguri, das beim Musikfest Berlin im vergangenen Jahr vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks konzertant aufgeführt wurde. Es war ein sehr seltsamer Moment, weil ich diese große Partitur im Schoß hatte, während ich ein anderes Stück von Wolfgang selbst gehört habe, aus einer ganz anderen Zeit, ein mutiges, bombastisches Jugendwerk mit dem großen Schlagzeugeinsatz am Ende. Und ich saß da mit der Partitur und ich konnte einfach nicht an mich halten und musste dann natürlich darin blättern und gleich irgendwie schauen: Wie ist das geschrieben? Klar ist man dann abgelenkt und es ist noch nicht so, dass man sich das vor dem geistigen Auge gleich vorstellen kann, aber so ein bisschen habe ich dann von der Menge her auch einen Überblick gehabt.
Was ist aus Ihrer Sicht die Motivation für Rihm, sich in solchen Höhen zu bewegen? Er hat für Sie auch ein Stück geschrieben, Mnemosyne, das liegt zum Teil sehr hoch. Ich spüre da immer einen Moment von Utopie, wenn ein Sopran in die allerhöchsten Lagen sich hinauf katapultiert. Wie ist das für Sie als Interpretin?
Prohaska: Zunächst muss man sagen, dass man als Sänger da nicht so philosophisch herangeht, sondern auch erst einmal technisch und physisch. Das ist wirklich wie eine Art Drahtseilakt. Man kommt sich manchmal vor wie ein Voltigierpferd, also es geht wirklich darum, dass man es schafft, diese und jene Hürde zu überspringen und dabei besonders elegant und musikalisch zu klingen, ohne dass es wie schwere Arbeit klingt - und das ist bei Rihms Musik gar nicht mal so schwer, weil er so wunderbare Kantilenen schreibt. Denn obwohl die Töne manchmal extrem auseinander liegen, ja sich manchmal über zwei Oktaven erstrecken, verliert man nie den Faden. Man wird oft von den anderen Instrumenten geführt und gelenkt und begleitet. Rihm komponiert da einen musikalischen Ariadne-Faden. Rihm hat für mich und das Gewandhausorchester auch Samothrake geschrieben und da habe ich das sozusagen in groß nochmal erfahren dürfen, wie das bei Rihm ist, von Klangmassen umgeben zu sein. Diese sind so zurückhaltend komponiert, dass sie einen nicht überdecken. Auch liier fühlte ich mich unterstützt und begleitet. Bei Rihm ist der Gesang immer in die musikalische Textur eingebettet und nie nur Virtuosenfutter.
Man kann dies auch bei seiner Oper Dionysos sehen, dass er den Sopranen immer wieder aus dem Orchester heraus einen Ton gibt, damit ein Gemeinsames entsteht und damit man als Solistin keinesfalls isoliert ist.
Prohaska: Ja, und das hilft natürlich auch wahnsinnig bei der Intonation. Mojca Erdmann, die den 1. Sopran singt, hat ja ein absolutes Gehör. Das bewundere ich natürlich wahnsinnig, weil das macht das Lernen um einiges leichter. Ich muss mich da mit meinem relativen Gehör etwas mehr am Orchester orientieren.
Das am häufigsten gespielte Violinkonzert von Rihm heißt Gesungene Zeit, nicht umsonst, könnte man sagen. Rihms Musik hat oft einen vokalen Kern. Spürt man das als Interpretin seiner Musik?
Prohaska: Auf jeden Fall. Ich liebe auch seine Instrumentalmusik, aber natürlich habe ich als Sängerin einen stärkeren Bezug zur Vokalmusik. Schon als Kind habe ich seine Baritonlieder durch unseren gemeinsamen Freund Richard Salter kennengelernt, für den er einiges geschrieben hat und der einiges uraufgeführt hat. Diese Nähe zum Text, diese vokale Expressivität, das scheint mir schon ein Epizentrum seines Werks zu sein.
Als Beethoven die Missa solemnis schrieb, hat man ihm vorgeworfen, dass er gegen die Stimme schreibe, auch im Sinne, dass im Scheitern ein Reiz liege. Es gibt Stücke von Rihm, die heißen Über die Linie. Geht er manchmal über die Grenzen dessen hinaus, was sängerisch möglich ist, als bewusstes Stilmittel?
Prohaska: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass er das versucht. Wenn man aber zum Beispiel eine Sängerin wie Mojca Erdmann hat, fällt das dann gar nicht auf, dass da solche Grenzen sind, weil sie total über allem schwebt wie bei Proserpina oder bei der großen Partie im Dionysos. Ich bewundere es wahnsinnig, was sie da macht. Rihm wusste außerdem vorher von ihrem Können und von ihren Stärken und dass er das so ausreizen konnte.
Ich glaube nicht, dass Rihm ein Komponist ist, der absichtlich gegen eine Stimme und so schreibt, dass man sich schadet, dass es kratzig wird, dass man sich zwingen muss, was wirklich dann auch langfristigen Schaden für diese kleinen armen Muskeln bedeuten kann. Da gibt es ja ganz andere Komponisten, denen das vollkommen egal ist und die einfach nur ihren Genius vor sich schweben sehen und die Sänger und Instrumentalisten sind die kleinen Ausführenden. Bei Rihm habe ich das Gefühl, es geht immer Hand in Hand, also Interpretation, Interpret und Stück.
Was gibt es noch vor den ersten Proben zur Musik der Requiem-Strophen zu sagen?
Prohaska: Ich habe mich sofort in diese wunderbaren Lacrimosa-Teile verliebt, einer auf Latein, einer auf Deutsch. Da gibt es einfach so herzzerreißende Intervalle und ich freue mich einfach darauf, mit Mojca Erdmann gemeinsam dann auch Klangfarben zu finden. Darauf, dass wir dann vielleicht auch versuchen, einmal ganz gleich zu klingen oder ganz fahl oder mit Vibrato. Je nachdem. Dass man einmal eine Art Spiegelbild sucht und probiert und dann wieder eine vollkommen andere Linie. Diese Dinge kann man nur in der Probenphase erkennen und auch wirklich begreifen, wie es dann wird.
Das klingt fast ein bisschen nach der c-Moll-Messe von Mozart.
Prohaska: Ja, so ein bisschen, das kann man sich schon vorstellen. Aber ein bisschen extremer und vielleicht auch ein bisschen romantischer. Hanno Müller-Brachmann, der Bariton, hat diese Sonette, die er vollkommen alleine singt.
Das finde ich eine sehr schöne Idee, da ist so eine Symmetrie, die männliche Stimme in der Mitte, von den weiblichen Stimmen wie in einem Triptychon umgeben.
br musica-viva, März-April 2017